„Ostersonntag?!? Echt jetzt?“ Langsam habe ich den Eindruck, alle meine offiziellen Termine in der Türkei werden auf christliche Feiertage gelegt. An Weihnachten, am 25. Dezember, musste ich zur Immigrationsbehörde, um meine Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern. Und jetzt, an Ostersonntag, findet also die lang ersehnte Fahrprüfung für meinen Motorradführerschein statt. Nun gut, ist ja nicht so, dass ich etwas Besseres vorgehabt hätte. Außerdem sind nun mal Weihnachten und Ostern in muslimisch geprägten Ländern genauso wenig Feiertage wie das Fastenbrechen nach Ramadan in Deutschland.
Dass ich einen Motorradführerschein in der Türkei mache, lag an einem netten Polizisten, der bei einer Verkehrskontrolle einen kleinen Strich hinter dem Symbol für ein Motorrad auf meinem Führerschein entdeckte - und mir augenblicklich einen selbigen durch meine Karriere als Rollerfahrer machte. Darüber habe ich ja bereits berichtet (hier geht es zum Text).
Nach der äußerst interessanten, weil äußerst kreativen Theorie, stand nun der Praxisteil an. Zwölf Pflichtstunden beinhaltet die Ausbildung. Anders als in Deutschland finden die für den Motorradführerschein allerdings nicht im fließenden Verkehr statt, sondern auf einem Übungsplatz. In Ermangelung eines solchen Übungsplatzes in Kaş, tut es aber auch ein Seitenstreifen an einer befahrenen Straße - zum Glück direkt gegenüber der Marina. So musste ich nicht mit dem Roller dahin fahren. So, wie es die meisten meiner Fahrschulkameraden machten.
Und so verwundert es auch nicht, dass die zehn Fahrschüler insgesamt sicherlich rund 200 Jahre Erfahrung auf dem Roller oder Motorrad mitbrachten und eher gelangweilt um den Parcours aus Pylonen, Achten und Hindernissen düsten. Nur eine junge Frau schien wirklich Novizin auf zwei Rädern zu sein. Sie hatte gut zu kämpfen mit den eng gesteckten Hütchen.
Viele Jahre schienen Roller und Motorräder in der Türkei eher in die Kategorie Fahrrad zu fallen. Fahren ohne Führerschein war ein Kavaliersdelikt. Ich erinnere mich an diverse Chartertörns in der Vergangenheit. Meistens mieteten wir für einen Tag Roller, um die Umgebung zu erkunden. Dass jemals jemand nach einem entsprechenden Führerschein gefragt hätte, daran kann ich mich nicht erinnern. Wer sich jedoch einmal motorisiert auf die türkischen Straßen begeben hat, der weiß, dass das Fahrverhalten - nennen wir es vorsichtig einmal - „anders“ ist als wir es von Deutschland gewöhnt sind. So erklärt sich wahrscheinlich auch, warum es in der Türkei 5,49 mal mehr tödliche Verkehrsunfälle gibt als in Deutschland (im Verhältnis zur Anzahl der Fahrzeuge). Seit etwa zwei Jahren kämpft die Polizei gegen den traurigen Trend an, in dem sie spezielle Verkehrskontrollen für Zweiräder durchführt. Und so kommt es, dass die Fahrschüler nicht eine Schar pickeliger Teenager sind, sondern gestandene Männer und Frauen mit einer gewissen Routine, deren Ausflüge jäh von einer Polizeikontrolle und saftigen Strafen beendet wurden.
Während ich nur den kleinen Motorradführerschein mache, wagt sich Arzum an den großen. Mir fehlt einerseits die Liebe zum richtigen Motorradfahren, andererseits die Koordinationsfähigkeit für eine Fußschaltung. Der automatische Roller ist dagegen selbst für mich überschaubar. Doch es gibt es Problem. Und das hat viele Umlaute. Der erste Teil der praktischen Fahrprüfung ist nämlich die Vorstellung und Erklärung des Rollers. Welcher Schalter ist wofür? Was muss man vor Fahrtbeginn überprüfen? Wo befinden sich Luftfilter, Batterie und Ölmessstab? Das ganze natürlich auf Türkisch! Wahlweise könnte ich auch einen Dolmetscher zu der Fahrprüfung bestellen, aber das kostet. Also pauke ich lieber Vokabeln.
Mit 30 Jahren Rollerfahrung (allerdings 50ccm) sollte der Parcours keine große Hürde für mich darstellen, wohl aber meine leichte Rechts-Links-Schwäche. Der Fahrlehrer erklärt, dass schon ein kleiner Fehler zum Durchfallen reicht. In der kleinen Acht den Fuß absetzen - raus! Einmal vergessen zu blinken - durchgefallen! Die Pylonen falsch anfahren - Ende der Prüfung! Alles kein Problem, denke ich noch, als ich bei der ersten Testfahrt losdüse, beschwingt wende, um den Slalomkurs in Angriff zu nehmen. Als ich auf den ersten Pylonen zu fahre, überlege ich noch, was der Fahrlehrer noch gesagt hat: „Links“, da bin ich mir sicher. Aber meinte er, den Pylonen links liegen zu lassen oder links um den Pylonen zu fahren? Elegant umkreise ich die orangenen Hindernisse, blinke an den richtigen Stellen, fahre eine Acht, so schön, wie ich sie nie mit einem Stift malen könnte. Zufrieden stoppe ich an der Ziellinie. Durchgefallen. Natürlich habe ich die Pylonen falsch angefahren. Links, höre ich den Fahrlehrer wieder sagen! Ich vergewissere mich nochmal: Links fahren oder links liegen lassen? Ach so, links liegen lassen. Jetzt habe ich es verstanden. Ich soll den Parcours aber wiederholen. Kein Problem. Wieder düse ich zum Anfang, wende und steuere auf die Hindernissen zu. Interessant, denke ich noch, als ich mich dem ersten Hütchen wieder nähere. Es ist keine zwei Minuten her, da hat der Fahrlehrer es mir noch erklärt. Doch alles, was ich noch weiß, ist „links“. Wahrscheinlich soll ich links um das Hindernis fahren. In der Ferne erkenne ich Arzum, die sich an die Stirn fasst. Der Fahrlehrer kratzt sich am Hinterkopf. Als ich den Roller kurz darauf vor ihm stoppe, lächele ich. „Wieder falsch, oder?“ Er nickt und schickt mich erneut auf die Strecke. Nun denn, trotz 48 Lenzen bin ich ja lernfähig. Und tatsächlich, die beiden nächsten Versuche fahre ich tatsächlich richtig an. Ob des großartigen Erfolges schwänze ich die nächsten drei Termine und segele lieber nach Marmaris. Die Fahrschule findet das „geht so“ und bittet darum, definitiv bei der Generalprobe aufzutauchen. Denn die findet nicht in Kaş statt, sondern 50 Kilometer entfernt, auf einem offiziellen Übungsplatz irgendwo im Nirgendwo auf einem kleinen Hochplateau. Hier wird auch die Prüfung abgenommen.
Der Übungsplatz ist eine Schotterpiste mit wenigen Metern Asphalt und vielen wild lebenden Hunden, die neben der offiziellen Ausweichübung weitere Hindernisse bilden, weil sie mitten auf dem Parcours ihren Mittagsschlaf halten. Der Parcours ist eng gesteckt, gar nicht mal so einfach zu bewältigen, tückischerweise stehen hier und da ein paar Stoppschilder in der Walachai. Während der Prüfung werden wir einen Knopf im Ohr haben, über den der Prüfer zu uns spricht. Wenn wir halten sollen, müssen wir den Blinker setzen, ein Accessoire am Lenker, der im täglichen Straßenverkehr kaum Anwendung findet. Ganz anders als die Hupe, die ein wesentlicher Bestandteil einer jeden Fahrt ist, allerdings laut Theorie wirklich nur zu Warnzwecken eingesetzt werden soll und nicht zum Grüßen von Cousins und Cousinen dritten, vierten und fünften Grades, deren Familien, Freunden der Familien und allen anderen, die den Weg zufällig kreuzen.
Den Abschluss des Parcours bildet eine Vollbremsung auf Schotter auf wenigen Metern. Wer über das Ziel hinausschießt, katapultiert sich ins Abseits und damit in weite Ferne von der Lizenz zum Cruisen. Wichtig bei der Bremsung ist, dass Schotter fliegt. Das mag der Prüfer. Zu meiner Überraschung bleibt es aber bei der Prüfung nicht bei dem Parcours. Anschließend folgt eine kleine Überlandfahrt - 13 Kilometer lang. Mit einem Auto fahren wir die Strecke ab, der Fahrlehrer gibt Hinweise. Nicht rasen, ganz viel blinken, Schulterblicke in Minutentakt, blinken, stoppen, fertig. Ach ja, vor dem Stoppen noch mal blinken. Machbar, denke ich. Die Strecke ist einfach, aber es lauern unberechenbare Gefahren. Verkehrsteilnehmer!
Die Generalprobe ähnelt einem Bikertreffen. Nur wenige Fahranfänger unter vielen Routiniers. Ein ergrauter Mann mit dem obligatorischen Schnäuzer stolzer Anatolen zirkelt gelangweilt um die Hindernisse, Rauchwaden steigen auf wie bei einer Dampflokomotive, allerdings nicht aus dem Auspuff, sondern aus seinem Mund. Der Mann puffelt genüsslich eine Zigarette bei der Fahrt. Den Fahrlehrer stört das wenig, trotzdem, sagt er dem überraschten Mann, wäre er durchgefallen. Er tippt sich an den Kopf. Der Grauschopf lacht. „Ach, der Helm!“
Ein jüngerer Mann, reich an Pfunden, sitzt stolz auf dem Motorrad wie Bauer auf einem altersschwachen Esel, den er aber zum Rennpferd treiben will. Auf der kleinen geraden Strecke reißt er am Lenker, dreht am Gas und düst ein paar Meter auf dem Hinterrad. Komischerweise gibt es vom Fahrlehrer keine Anerkennung, sondern einen saftigen Anschiss.
Ostersonntag, 9.30 Uhr. Wir sitzen im Leihwagen, auf dem Weg zur Fahrprüfung. Arzum, am Steuer, versucht sich mental auf die Prüfung vorzubereiten, ich wiederhole die Vorstellung des Rollers auf Türkisch. Mit der Akribie eines Deutschen stelle ich noch tausend Fragen, zum Beispiel zu Genitivverbindungen und kleinen und großen Vokalharmonien, de Tücken der türkischen Sprache, wie in „hız göstergesi“ (Geschwindigkeitsanzeige). Auch frage ich, ob es nicht „sinyal lambası“ (Blinker) heißen müsse, wie das Lexikon es ausspuckte, der Fahrlehrer aber nur „sinyal“ sagte. Kurz lasse ich mich belehren, dass „boynuz“ zwar Horn heißt, aber im Sinne von Geweih, die Hupe wiederum „korna“ sei. „Karna?“ „KORNA!!!“ Den Rest der Fahrt schweige ich lieber. Ich übe lieber im Stillen.
Trotz der wochenendlichen Ausgangssperre sind die Straßen gut bevölkert. Einkaufen ist schließlich erlaubt. Zudem tummeln sich einige Traktoren und Lkw im Verkehr. Es wird viel gehupt und wenig geblinkt, gerast und getrödelt. Auch das Prüfungsgelände ist überfüllt. Etliche Herren in orangenen Westen, die Prüfer, wuseln emsig über das Plateau, dazwischen einige gelbe Westen für die Prüflinge. Hunde dösen in der Sonne, Fahrschüler kauen aufgeregt an Fingernägeln. Die Organisation, man kann es nicht anders sagen, ist tipptopp. Meine Prüfung ist für 11 Uhr angesetzt, sie dauert 35 Minuten, fünf Minuten später ist Arzum an der Reihe. Es gibt nicht eine Minute Verspätung. Neben den Motorradfahrern ist auch Testtag für den Autoführerschein.
Wir sind eine halbe Stunde zu früh da. Und so bekommen wir mit, wie Träume zerplatzen. Eine junge Frau, die wir von den Fahrstunden kennen, kämpft sich gerade auf dem Motorrad durch die Acht, verschaltet sich, der Motor stockt. Sie muss den Fuß absetzen. Augenblicklich ist die Prüfung beendet. Ein Rollerfahrer bringt sein Gefährt bei der Vollbremsung nicht vor der vorgegebenen Linie zum Stehen. Der Vorderreifen ragt über die Markierung. Durchgefallen. Eine zweite Chance? Fehlanzeige. Eine junge Frau ringt mit den Tränen, sie ist bei der Prüfung mit dem Auto durchgefallen. Bislang hatte ich gedacht, die Prüfung sei Peanuts. Doch nicht einer der Prüflinge hat in dieser halben Stunde bestanden.
Die Leiterin unserer Fahrschule bittet mich zum Gespräch. Sie hatte sich mehrmals bei Arzum vergewissert, ob ich auch wirklich in der Lage sei, den Roller auf Türkisch zu erklären. Das soll ich ihr nun beweisen. Nach meiner kurzen Erklärung reckt sie mir den Daumen entgegen. Nur einen Begriff korrigiert sie. Den Kickstarter hatte ich „marş pedalı“ genannt. Besser sei: „ayak pedalı“ - das Fußpedal. Kein Problem, kann ich mir merken. Ich werde eingekleidet mit Warnweste sowie Knie- und Ellbogenschützer und verkabelt. Dann kommt auch schon der Prüfer. Und verwirrt mich sogleich. Er spricht etwas Englisch. Dafür habe ich also die Vokabeln gepaukt? Nicht mit mir! Und so fragt der Prüfer auf Englisch, ich antworte auf Türkisch. Er lächelt.
Der Parcours ist kein Problem. Hin und wieder kommen Instruktionen über den Knopf im Ohr. Ich blinke und halte und blinke und fahre. Bei der Vollbremsung spritzt Schotter. Alles gut. Ich darf in den Verkehr, die Prüfer folgen mir im Auto. Kaum auf der Straße folgt die erste Ermahnung: „yavaş, yavaş“. Langsam, langsam. Ich bin irritiert. 50 km/h darf ich fahren, ich hatte maximal 45 km/h auf dem Tacho. Nach der ersten Kreuzung das gleiche Spiel: „yavaş, yavaş!“ Wieder gehe ich vom Gas. Meine Geschwindigkeitsanzeige muss falsch sein. Na toll! Also trödele ich mit angezeigten 40 km/h über die Landstraße, weiche einem Traktor aus, der nicht so recht weiß, wo er hin will, ansonsten sind die ersten sieben Kilometer sehr, sehr langweilig. Ich summe ein Lied. Ehrlich gesagt wird es auch nicht viel interessanter. Das Highlight auf den nächsten Kilometern durch den Ort sind einige geparkte Autos, die ich geschickt im Schleichtempo umkurve, nicht ohne jedesmal den Blinker zu setzen und übertrieben den Blick über die Schulter werfe. Kurz überlegt ein schwarzer Hund vor mir die Straße zu queren, aber er bleibt gähnend auf dem Fußweg stehen. Noch zweimal abbiegen, dann bin ich wieder kurz vor dem Übungsplatz. Fast geschafft. Aber dann ist da wieder diese Stimme im Kopf: „yavaş, yavaş!“ Ich fahre nicht einmal 40 km/h, 50 sind erlaubt. Wenn ich jetzt durchgefallen sein sollte, weil der Fahrschulroller die Geschwindigkeit falsch anzeigt, bin ich echt sauer. Kaum angehalten, weise ich den Fahrlehrer auf die kaputte Anzeige hin. Doch der lacht nur. „Nein, nein, alles gut! Die Prüfung, so ist es vorgeschrieben, muss 35 Minuten dauern“, sagt er. Ich war einfach im Parcours zu schnell, also musste ich auf der Straße trödeln. Bestanden!
Kurz vor Arzum startet ein weiterer gestandener Rollerfahrer zur Prüfung. Nach nicht einmal einer Minute ist er zurück. Durchgefallen! Arzum hingegen zirkelt das große Motorrad durch die Hindernisse, düst dann davon auf die Straße. Nach einer halben Stunde ist zurück. „Das wird knapp“, sagt sie. Die Prüfer beraten noch, der Fahrlehrer kommt mit ernster Miene auf sie zu. Ein Tomaten-Lkw hatte sich vor sie gesetzt und das gemacht, was man nicht erwarten kann: Er hat geblinkt. Allerdings nicht in die Richtung, in die er abbiegen wollte. Arzum hielt kurz an. Die Prüfer hatten die Konfusion zunächst nicht mitbekommen, sich dann aber besonnen.
Und so hat uns beiden der Osterhase ein schönes Geschenk gemacht: den Führerschein. Nach zweieinhalb Jahren darf ich jetzt endlich offiziell Roller fahren. Die alte Honda hat noch ein Jahr TÜV, Steuer und Versicherung sind bezahlt, ich habe den Führerschein. Ich denke, in den nächsten Wochen wird sie dann den Geist aufgeben. Irgendwas ist ja immer.
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Markus (Dienstag, 13 April 2021 08:43)
Gratuliere zur bestandenen Prüfung!
B. (Mittwoch, 14 Juli 2021 11:40)
Herrlich ! Nett + witzig geschrieben, hat mir meinen Friseurtermin zusätzlich verschönert. Tesekküler !