Kummer gewohnt

Die letzten Wochen waren anstrengend. Meistens bin ich morgens um 6 Uhr aufgestanden, habe mir den ersten Kaffee des Tages gebrüht und mich schlaftrunken an den Salontisch gesetzt.. Schlagartig war da wieder dieser Kummer, der mich beschäftigte. Gegen 9 Uhr, wenn es unter Deck langsam zu warm wurde, wechselte ich den Standort, ging in die Oxygen-Bar in der Marina, das Laptop unter dem Arm, kurbelte die Markise heraus, so dass ich Schatten fand, befreite die italienische Gastro-Kaffeemaschine von ihrem Tuch, das sie zur Nacht bettet, und griff hinter den Tresen nach einem Aschenbecher. Tutku, der Besitzer, war mal wieder spät dran.

 

"Bedien Dich einfach", hatte er gesagt. Dann brauchte er nicht pünktlich zu sein. Das machte ich auch. Und weil ich meinen Kaffee mit Milch trinke, die aber im Kühlschrank im Inneren des Ladens aufbewahrt wird, hatte er mir auch gleich noch gezeigt, wo ich den Schlüssel zur Bar finde. Und so öffnete ich morgens meist den Laden, fand ein wenig Zerstreuung, ehe mich wieder der Kummer befiel..

 

Am frühen Nachmittag, nach ein paar Kaffees und frisch zubereiteten Limonaden, wenn die Hitze des Tages sich an Land breit machte, ging ich wieder zurück auf die Dilly-Dally, setzte mich ins Cockpit und freute mich über die sanfte Brise, die pünktlich gegen 14 Uhr vom Meer herüber weht. Aber auch sie konnte den Kummer nicht vertreiben. Ich wollte es auch gar nicht. Und so ging es weiter bis spät in die Nacht. Ich wusste, dass der Kummer mich begleiten wird, solange ich ihn nicht verarbeitet habe. Endlich ist es soweit. Das Buch "Mit Kummer ohne Sorgen" ist erschienen.

Die Arbeit an dem Buch "Mit Kummer ohne Sorgen" war anstrengend, aber höchst spannend. Es handelt von der wahren Geschichte des Wirtschaftsprofessors Sebastian Kummer, der im Februar an der französischen Atlantikküste aufbrach, um zusammen mit Freunden einen Katamaran in die Türkei zu überführen. Doch dann kam Corona und die Crew ging auf Mallorca von Bord. Kummer wurde unfreiwillig zum Einhandsegler auf einer Lagoon 46. 

 

Doch je weiter Kummer segelte, um so mehr Länder machten ihre Grenzen dicht. Als letztes die Türkei, das Ziel seiner langen Reise. Oder besser gesagt: das Etappenziel. Denn von dem türkischen Badeort Göcek wollte Kummer einen anderen Katamaran nach Kroatien überführen - natürlich auch mit Crew. Aus Griechenland wurde er von der Küstenwache mit vorgehaltener Maschinenpistole vertrieben, in der Türkei durfte er nicht ankommen. Auf der See konnte er auch nicht bleiben. Im Frühjahr ist das Mittelmeer unberechenbar, Stürme mit Böen in Orkanstärke sind keine Seltenheit.

 

Also versteckte sich Kummer in kleinen Buchten vor der Küstenwache und nannte es sein "Niemandsland". Der Professor war zum Piraten geworden, vogelfrei und verfolgt. Immer wieder gab es Hoffnung auf eine Lösung, jedes Mal starb sie. Kummer nahm sein Schicksal an, machte das Beste aus seiner Situation. Mit Galgenhumor und einem ungebrochenem Optimismus meisterte er "die beste Quarantäne der Welt" (O-Ton Kummer). Trotz einiger kritischer Momente. In dieser Zeit gab Kummer Dutzende Interviews für Zeitungen und Magazine, Radiostationen und Fernsehsender. Menschen in halb Europa wurden auf das Schicksal des Professors aufmerksam. Und so meldete sich plötzlich ein mysteriöser Vermittler. Ein Scharlatan oder der Retter in der Not?

 

Für das Magazin "float" berichtete ich zweimal über Sebastian Kummer. Wir telefonierten viel und mailten noch mehr. Nur wenige Meilen trennten uns in dieser verrückten Zeit. Zwei Deutsche auf einem Segelboot in der Türkei. Und doch konnten die Umstände nicht unterschiedlicher sein. Kummer musste sich verstecken, war quasi ein illegal Eingereister, der keinen Fuß an Land setzen durfte. Die komplette Mittelmeerküste war für ihn zu einer Sperrzone geworden. Und ich saß in Kas auf der Dilly-Dally, durfte segeln (wenn auch eingeschränkt) und genoss die Corona-Zeit so gut es ging. Buchten, in denen ich erst wenige Tage zuvor geankert hatte, waren nun Kummers Niemandsland. Ein Land ohne Infrastruktur, ohne Supermärkte oder Ärzte. Kummer war auf sich alleine gestellt. 

 

Es war der erste Artikel, den ich für "float" über Kummer geschrieben hatte, der den mysteriösen Vermittler auf den Plan rief. Da die "float"-Artikel auch auf Focus.de erscheinen, war es wahrscheinlich weniger der Artikel an sich, als die boulevardeske Aufbereitung der reißerischen Überschrift, die den türkischstämmigen Vermittler auf den Plan rief. Oder vielmehr seine Auftraggeber. Denn der Focus hatte es geschafft, zwei Ereignisse aus dem Text in einen Zusammenhang zu setzen, die in keinerlei Zusammenhang standen. Die Szene, in der Kummer mit vorgehaltener Maschinenpistole von der Küstenwache bedroht wurde, verlegten sie kurzerhand in die Türkei. Und das in Zeiten, in denen die Türkei versuchte, den wichtigen Tourismussektor wieder zum Laufen zu bringen.

 

Als Wochen später Sebastian Kummer mich kontaktierte und fragte, ob ich mit ihm zusammen ein Buch über seine 90-tägige Odyssee schreiben wolle, musste ich nicht lange überlegen. Seitdem ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht Kummer gewohnt bin. Aber eine bewährte Therapie soll ja sein, den Kummer aufzuschreiben. Genau das habe ich gemacht.. 

 

Zu bestellen ist das Buch unter anderem bei Amazon oder direkt auf unserer Webseite www.mit-kummer-ohne sorgen.org. Da kann man übrigens auch meine anderen Bücher bestellen. Eine Liste mit Buchhandlungen, wo das Buch ebenfalls geführt wird, kommt die Tage.

 

 

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