Mein erster Mord

Lange hatte ich ihn geplant. Meinen ersten Mord. Grausam sollte er sein. Und, wenn möglich, nahezu perfekt. Wer das Opfer sein sollte, das war mir zu Beginn noch nicht klar. Das war auch gar nicht so wichtig. Wichtig war vielmehr, erst einmal den Anfang zu machen. Also ließ ich eine Frau - im wahrsten Sinne des Wortes - über die Klinge springen. Doch wie genau würde sie sterben? Ich schaute mich auf dem Boot um, und fand einiges, was sich für einen Mord eignet.

 

 

Als Journalist hatte ich viel mit Kriminellen zu tun. Zum Glück nicht mit Mördern oder Gewaltverbrechern, vielmehr mit Wirtschaftskriminellen. Auf meiner Visitenkarte der „Financial Times Deutschland stand einige Zeit „Redakteur für Wirtschaftskriminalität“. Über viele schmutzige Details konnten wir aber nicht berichten, da entweder die ‚zweite Quelle‘ oder eindeutige Dokumente fehlten, oder aber die Tiefe der Recherche zu umfassend war für einen Zeitungsartikel. 

 

Für den ZDF-Thriller „Ein gefährliches Angebot“, mit Armin Rohde in der Hauptrolle und ausgestrahlt im April 2016, lieferte ich die Rahmenhandlung, die angelehnt ist an den Fall der HSH-Nordbank, den ich damals zusammen mit Kollegen der FTD recherchiert hatte. Zufällig hatte ich die spätere Produzentin des Films klischeemäßig bei einer Pool-Party auf Shelter Island in der Nähe von New York kennengelernt und ihr von dem Fall erzählt, der damals, im Jahr 2010, brandaktuell war. Sie wollte den Stoff für ein Drehbuch. Mangels Zeit und in Unkenntnis der Filmbranche musste ich jedoch eine Mitarbeit am Drehbuch absagen, beschränkte mich auf eine anfängliche Beraterrolle. Aber die Lust, Krimis zu schreiben, war geweckt. 

 

Verbrecher und Kriminelle, das stellte ich schnell fest, waren für mich interessantere Charaktere als erfolgreiche Geschäftsleute. Wobei, zumindest in Bezug auf Wirtschaftskriminalität, die Schnittmenge wahrscheinlich recht groß ist. Während viele meiner Kollegen sich in ihrer Freizeit fortbildeten und die neuesten volkswirtschaftlichen Theorien von sehr klugen Köpfen lasen, oder die Biografien über diese sehr klugen Köpfe verschlangen, erfreute ich mich an seichten Krimis, garniert mit Grusel und viel Blut. Von daher war es auch kein Wunder, dass das einzige Magazin, das ich jemals abonniert hatte, ‚Stern Crime‘ war. 

 

Nachdem ich im Jahr 2018 den Job als Reporter beim Wirtschaftsmagazin ‚Capital‘ an den Nagel hängte, die Wohnung in Berlin verkaufte und auf ein Segelschiff in der Türkei zog, hatte ich ja nun genug Zeit, um endlich selbst Bücher zu schreiben. Das Erstlingswerk, „Träum weiter!“ über die Lebensgeschichten von ein paar verrückten Segelaussteigern, war journalistischen Texten sehr nah. Portraits eben. Menschen erleben und beschreiben, das hatte ich gelernt. Der feine Unterschied zu meiner früheren Arbeit: Es ging nicht um Konzepte zu einer Geschäftsidee, sondern um Lebenskonzepte. 

 

Im Idealfall soll das Schreiben von Büchern nicht nur ein Hobby für mich sein, sondern der Broterwerb. Wer mit 46 Jahren alles aufgibt und aussteigt, hat im Regelfall noch nicht bis zur Rente ausgesorgt - schon gar nicht, wenn er zuvor als Arbeitnehmer angestellt war, und nicht die weltbeste App für ein sorgenfreies Leben erfunden hat. Oft höre ich leicht vorwurfsvoll: Aussteigen muss man sich erstmal leisten können! Das stimmt, einerseits. Ich wäre auch froh, wenn ich es mir leisten könnte. Andererseits, wenn man es sich nicht leisten kann, dann muss man es sich leisten wollen! Machen, nicht hadern! Losrennen, ohne das Ziel zu kennen.

 

So ähnlich war es auch mit meinem ersten Mord. Wollte ich irgendwann mal einen Krimi zu Papier bringen, dann musste ich erst einmal anfangen. Und die meisten Krimis fangen mit einer Leiche an. Und so begann die Arbeit an „Die Stalkerin“. Ich hatte eine grobe Ahnung, wohin die Reise führen sollte. Und damit meine ich nicht die Region oder das Milieu, in dem der Krimi spielt. Das war relativ schnell klar. Die Handlung ist in der Türkei angesiedelt und der Protagonist ist ein Segler, der auf einem Segelschiff lebt. Ziemlich viele Parallelen zu einer real existierenden Person?

 

Ja natürlich. Und definitiv Nein. Genauso gut hätte der Protagonist ein Pauschalurlauber sein können, ein Pilot oder ein Finanzhai aus Frankfurt. Aber dann hätte ich eine enorme Portion Fantasie in die Figur stecken müssen, um sie mit all ihren Facetten zu ergründen. Ich hätte mir Szenarien ausdenken müssen, um plakativ Situationen zu beschreiben, wollte ich nicht platte Klischees bedienen. Ich habe es mir da einfach gemacht: Will ich etwas beschreiben, brauche ich mich nur umzuschauen. Natürlich sind einige Erlebnisse aus 14 Monaten Bordleben in das Buch eingeflossen, haben mich Menschen, die ich getroffen habe, interessiert und inspiriert. Aber alle Charaktere sind natürlich frei erfunden. 

 

„Der Protagonist muss eine Marotte haben!“, sagte mein guter Freund Merten, der netterweise wieder das Cover gestaltet hat, als er im Sommer einige Wochen an Bord war. Er spielte auf meine Nutella-Sucht an (die ich mittlerweile im Griff zu haben glaube), als ich eines Morgens wieder Mal schokoverschmiert aus der Koje kroch. Zu dieser Zeit schaute ich im Bett vor dem Schlafen noch etwas Netflix und naschte dabei von der süßen Versuchung, in dem ich dünne Brotstangen in das Glas tauchte, die dummerweise meist abbrachen. Beim Versuch, sie irgendwie aus dem Behälter zu fischen, beschmierte ich erst meine Hände, dann das ganze Bett. Es war ja dunkel!

 

Zurück zum Krimi: Ich entschied mich gegen die Nutella-Sucht, suchte eine andere Marotte. Um sie zu finden, reichte ein Blick in den Spiegel. Warum sollte der Grund, warum ich das Leben auf einem Schiff dem in einer Großstadt vorziehe, nicht auch der Grund für den Protagonisten in meinem Krimi sein? Ich hatte an Burnout, Panikattacken und Angstzuständen gelitten. Wenn ich etwas glaubhaft beschreiben konnte, dann dieses beschissene Gefühl. Vielleicht war es der offene Umgang mit der Misere, aber mittlerweile bin ich überzeugt, dass psychische Erkrankungen, oft stressbedingt, eine der größten Herausforderungen für die heutige Gesellschaft sind. Etwa die Hälfte meiner Freunde, die mich auf dem Boot besucht haben, haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Mal weniger heftig, mal deutlich schlimmer. Der arme Protagonist kriegt nun die geballte Ladung ab - von allem etwas. Sorry dafür!

 

Apropos Protagonist. Peter Parker heißt der Gute. Und ich schwöre, ich habe nie Spiderman gesehen oder gelesen. Sonst wäre mir der Fauxpas sicherlich aufgefallen. Hohn und Spott wurde bereits kübelweise über meinem Haupt ausgeschüttet. Auch meinen Testlesern war die Namensgleichheit mit dem Spinnenmann nicht aufgefallen. Hätte ich mal meinen damaligen Telefonjoker bei Günther Jauch gefragt, der mir schon vor zehn Jahren den Arsch rettete. Nächstes Mal, Dirk, bin ich wieder klüger.

 

Zuerst hieß der Protagonist nur Peter. Ein einfacher Name, der auch im Englischen bekannt ist. Dann brauchte ich einen Nachnamen. Und der sollte auch, falls ich das Buch einmal übersetzen lasse, einprägsam und aussprechbar sein. Andere Namen, die im Buch vorkommen, fand ich, indem ich einfach Artikel im Internet las - und den ersten Namen, der auftauchte, herauspickte. Bei Peter war das anders. Ich machte mir gerade ein paar Notizen und spielte mit dem Kugelschreiber zwischen meinen Fingern, als ich die kleine Inschrift las: Parker. Peter Parker. Das klang irgendwie nett. 

 

Aber wer ist dieser Peter Parker eigentlich? Oder anders gefragt: Ist er ein Guter? Oder ein Böser? So viel steht fest: Er kann ein ganz schönes Arschloch sein. Aber ist er fähig, einen Mord zu begehen? 

 

 

Nach dem ersten Mord wusste ich das auch noch nicht. Und so ließ ich mich beim Schreiben selbst überraschen. Neue Personen und Handlungsstränge tauchten plötzlich auf. Andere Personen kürzte ich wieder aus dem Kontext. Sie führten zu nichts. Oder waren einfach zu langweilig. Weil der Krimi in der Gegenwart angesiedelt ist, spielt auch die aktuelle politische Entwicklung in der Türkei eine Rolle. Aber mehr will ich eigentlich nicht verraten.

 

Hier geht es zum Inhalt und den Bestellungen

Parker....

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