Es ist wie eine kleine Zeitreise. Zum Anfang der 90er Jahre, das Abi in Sicht, der Blick vernebelt. Der DJ dieselt die Tanzfläche ein. London im Herbst ist nichts dagegen. Dazu trippelt der Beat wie tausend kleine Füße, liefert den Grundton des Abends, dramatisch unterbrochen von einem lauten WUMMS. Immer wieder diese dumpfen Bässe. Dazu feuert das Stroboskop Blitze in die Nacht. Stundenlang. Eine Nacht in der Vorstadthölle, vor den Toren Celles. „Inkognito“ hieß die Disco damals. Und so heißt sie auch heute noch. Am nächsten Morgen dröhnt der Kopf, überall im Zimmer liegen verstreut verschwitzte Klamotten. So war das damals. Und so ähnlich ist auch heute. Same same, but different.
Die Nacht war kurz. Der Beat hat mich nicht zur Ruhe kommen lassen. Die Blitze, das Wummern wie Kanonenschläge, der heulende Wind, so weinerlich wie Morrissey. Das Konzert wollte kein Ende nehmen. Das erste nasse T-Shirts der Nacht hängt im Badezimmer, das zweite liegt in der Küche. Die Jacke tropft im Durchgang zur Achterkabine mit den zwei Stockbetten. Im Bug sieht die Matratze aus als hätte dort jemand gelegen, der sich im Schlaf eingenässt hat. Ein wunderschöner großer Wasserfleck färbt die Unterlage tiefblau. Plopp. Der nächste dicke Tropfen seiht sich von der Lüftung auf die Matratze ab. Draußen wird das Wummern wieder lauter. Das Trippeln auf dem Deck wird zum Stechschritt. Noch eine Gewitterfront?
Am Abend ging es los. Regen. Langweilig wie in Hamburg nieselte er die Marina in Kaş ein. Unter Deck suchte ich Fotos für den nächsten Artikel im Float-Magazin zusammen, schnitt sie auf richtige Maß, lud sie hoch und versendete den Link. Nach einer Kanne Tee war mir noch nicht nach Schlafen. Aber ich kuschelte mich schon mal in die Koje, den Laptop auf der Bettdecke: Netflix. Herrlich.
Um kurz nach elf Uhr trommeln dicke Tropfen wie nervöse Finger auf der Luke. Ein schöner Sound. Ich mag ihn. Der Wind schickt die ersten Böen, die wie Buhrufe im Hafen hallen, Fallen klatschen in den Masten Applaus. Die Dilly-Dally ruckt unangenehm in den Festmachern. Oben, auf dem Achterdeck, scheppert irgendwas. Wahrscheinlich der Schrubber, den ich an die Davits gelehnt hatte. Dann beginnt draußen die Lichtershow, Blitze zucken vom Himmel, für kurze Zeit ist die Kabine taghell. Ich zähle. Eins, zwei, drei, vier. WUMMS. Das Gewitter ist also ungefähr vier Kilometer entfernt. Auch in den vergangenen Tagen gab es immer mal wieder kleine Unwetter. Aber entweder blieben sie über der See oder hingen in den Bergen. Die nächste Bö zerrt am Boot. Oben an Deck wird es lauter. Ich quäle mich aus dem Bett, werfe einen Blick vom Niedergang aus ins nasse Cockpit. Der Wind spuckt mir Regen ins Gesicht. Eine Bö wütet an der Bimini, hat sie schon halb aus der hinteren Verankerung gerissen.
Ich stürme an Deck, versuche die Halterung mit Seilen zu sichern. Scheint zu halten. Klitschnass gehe ich zurück unter Deck, werfe das T-Shirt ins Badezimmer. Das Wummern des Donners wird leiser. So bedrohlich die Naturgewalten auch scheinen mögen, sie haben auch etwas Faszinierendes. Ein paar Minuten schaue ich dem Schauspiel am Himmel noch hinterher. Dann krieche ich wieder unter die Bettdecke. Auch nicht schlecht.
Gerade habe ich den ersten Teil der Serie Fugitiva beendet, als wie aus dem Nichts ein Blitz im Hafen einschlägt. Kurz ist es gleißend hell. Das Licht verschwindet ohrenbetäubend mit einem dumpfen Kanonenschlag. Wind reißt am Schiff. Sekunden später stehe ich im nächsten Shirt an Deck, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, dass die Bimini wie ein fliegender Teppich abheben will. Ich muss sie abbauen. Links und rechts zucken immer wieder Blitze vom Himmel, der Donner lässt nicht lange auf sich warten. Das Gewitter muss also noch über mir sein. Bei jedem Blitz zucke ich zusammen, Wasser rinnt mir durchs Gesicht, das Shirt klebt durchsichtig wie bei einem Wet-T-Shirt-Contest an meinen Körper. Gut, dass ich vorhin noch Sport gemacht habe. Nach fünf Minuten ist die Bimini gesichert. Hoffe ich zumindest. Die nassen Klamotten lasse ich irgendwo im Schiff fallen, lege mir aber noch trockene aufs Bett. Wahrscheinlich werde ich sie noch brauchen. Auf dem Navigationstisch platziere ich die Stirnlampe, Messer und Werkzeug. Man weiß ja nie.
Zurück im Bett rufe ich die Satellitenbilder von der türkischen Küste auf. Ein riesiger Wirbel dreht sich über dem Mittelmeer, zieht auf Kaş zu. Na toll. Aus dem dunklen Blau der Regenwolken bilden sich blitzschnell rote Gewitterzonen. Eine sitzt gerade genau über mir. In einer halben Stunde sollte sie aber weg sein. Doch über Zypern braut sich die nächste riesige Front auf, Marschrichtung Kaş. Dazwischen Regen. Und Sturm. An Schlaf ist also nicht wirklich zu denken. Immer wieder treffen Böen die Dilly-Dally wie Tiefschläge eines Boxers. Noch einmal drehe ich eine Runde im Regen an Deck, um zu sehen, ob alles gesichert ist. Mittlerweile ist es halb zwei. Der Regen hat etwas nachgelassen, hinten, am Horizont Richtung Fethiye, leuchtet es immer noch auf. Der Donner ist kaum noch zu hören. Auf den Satellitenbilder ist zu sehen, dass sich das Gewitter über Zypern etwas beruhigt hat. Gegen halb sechs dürften die Ausläufer aber Kaş erreichen. Dafür entstehen immer wieder neue.
Die Nacht ist unruhig. Starkregen, Gewitter, Sturmböen. Pünktlich um halb sechs ist das große Gewitter da. Allerdings weniger heftig als erwartet. Ich versuche noch mal zu schlafen. Um acht stehe ich auf. Gegen neun wollten ein paar Freunde zum Frühstück kommen. Pfannkuchen soll es geben. Aber es schüttet so, dass sich keiner aus seinem Schiff wagen möchte. Einer nach dem anderen sagt per Whatsapp ab. Verständlich. Immer wieder grollt Donner, zucken Blitze. Draußen röhren die Motoren an den Booten der Marineros, die die Stege abfahren, um zu schauen, ob noch alle Moorings halten. Das Beiboot gleicht einem Pool, wie eine Plastikente schwimmt in dem zentimetertief stehendem Wasser der Benzinkanister.
Ich koche mir einen Kaffee, der Kopf fühlt sich wie verkatert an. Wahrscheinlich der Schlafmangel. Es ist wie damals, nach einer dieser Nächte in der Vorstadtdisco von Celle. Der nächste Morgen ist meist leer. Und dennoch hat er eine ganz eigene reizvolle Stimmung, die eine Lizenz zum Nichtstun beinhaltet. Ich glaube, ich werde gleich mal die Serie von gestern abend weiter schauen. Ein guter Plan für einen verregneten Tag. Aber erstmal mache ich mir einen Pfannkuchen. Draußen hat gerade irgendwer wieder das Licht ausgeknipst. Mitten am Tag. Dafür ist der Stroboskopblitz wieder an. Immer diese Wiederholungen. Nervig. Gut, dass es Netflix gibt.
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Edda Oberhauser (Dienstag, 04 Dezember 2018 10:35)
Sehr schön geschrieben, als ob man als Leser mittendrin ist. Kopfbilder, die auch Gewittererinnerungen wachrufen. Gott sei Dank ist alles gut azsgegangen! Weiterhin alles Gute!