Strandraub

Sankt Peter-Ording Die Weltmeisterschaft der Strandsegler hat am Sonntag mit einem Raub begonnen. Einem Landraub. Der Wind pfeift am ersten Renntag mit sechs bis sieben Beaufort über die Nordsee. Westwind. Auflandig. Hohe Wellen drücken auf den Strand, hindern die Ebbe auf ihrem Weg zurück ins Meer. Drei Kurse will der Ausrichter, der Yachtclub Sankt Peter-Ording, für die fünf Segelklassen stecken. Aber die Natur legt ein Veto ein. Nur langsam weicht das Wasser. Der Strand, der auftaucht, gleicht einer Mondlandschaft. Krater, Seen und Matsch bleiben zurück. Der fahrbare Bereich ist oft gerade mal so breit, dass eine Yacht mit über 100 Stundenkilometern auf ihm segeln kann. Überholen unmöglich, erst recht Gegenverkehr. Einbahnstraße statt Autobahn.

 

Als die Piloten um 7 Uhr ihre Segelwagen für die ersten Läufe der Weltmeisterschaft präparieren, geht die Sonne milchig rot über dem Nordseebad an der Halbinsel Eiderstedt auf. Unter den Fahnen der 14 teilnehmenden Nationen sammeln sich die Fahrer auf der Sandbank unweit der markanten Pfahlbauten. Sie sind heiß auf die Rennen, trotz kalter Hände und klammer Füße. Die Blicke bang gerichtet auf das Wasser, das das Land nicht hergeben will. 

 

Die Rennleitung kann die Strecke nicht freigeben. „Zu gefährlich“, entscheidet Andrea Koch. Die Klassen 2 und 3, die größten und schnellsten Strandsegler, dürfen lediglich zu einer Proberunde aufbrechen. Aber maximal zehn Wagen auf einmal. Mehr Platz ist nicht. Und selbst bei der Probefahrt erreichen die Boliden mehr als 100 km/h - mit loser Schot. Der griechische Teilnehmer zerlegt seine Yacht an einem Priel. Die Planke bricht, wie ein Geschoss fliegt der abgetrennte Reifen, immer noch befestigt an der Wante, durch seinen Wagen, verfehlt den Piloten nur knapp (siehe Video). Er bleibt unverletzt. Und guter Dinge. Achselzuckend lässt er seine Yacht bergen und tauscht im Fahrerlager die geborstenen Teile aus. 

 

Auch die Klassen Standart und 5 müssen sich in Geduld üben. Ihr Kurs ist ebenfalls nicht für eine Regatta befahrbar. Nur die Miniyachten mit den beiden schnellsten Frauen der letztjährigen Europameisterschaft, Barbara Starke und Gitta Steinhusen, können auf der relativ tidenunabhängigen „Plate“ zwischen den Pfahlbauten ihre ersten vier Rennen starten. Das erfolgsverwöhnte deutsche Miniyacht-Team hat aber Startschwierigkeiten. Nachdem Europameister Sven Kraja in der Konstrukteursklasse 5 bei der diesjährigen WM an den Start geht, galt sein Konkurrent Sven Harder als Mitfavorit auf den WM-Thron. Doch Harder musste sich am Tag vor dem Start einer Schulterverletzung beugen, die er seit Wochen verschleppte - ein Sehnenanriss. Nach den ersten vier Rennen liegt Steinhusen in der Frauen-WM-Wertung vor Starke. Noch vor die beiden hat sich aber die Französin Sandrine Touqué geschoben.

 

Am Nachmittag machten die Miniyachten auf der „Plate“ den Standarts und der Klasse 5 Platz, die jeweils zwei Rennen segelten. Bei den Standarts überraschte im  ersten Lauf Michael Müller mit einem Sieg, im zweiten Lauf wurde er aber wieder in den hinteren Teil des Feldes verwiesen. Stattdessen segelte ein anderer deutscher Pilot auf das Podest in diesem Lauf. Roland Heß belegte Rang drei.

 

In der Klasse 5 strebt der Schleswiger Sven Kraja einen Medaillenplatz an, auch wenn die Franzosen die Konstrukteurswertung seit Jahren dominieren - und auch mit umstrittenen Neuerungen an ihren Segeln aufwarten. Nichtsdestotrotz segelte Kraja im ersten Lauf dem Feld davon, führt mit mehreren hundert Metern Vorsprung. Doch in der letzten Runde pirscht sich ein Konkurrent an den Segelmacher von der Schlei heran, und überholt ihn kurz vor dem Ziel. Kraja wird zweiter. Im zweiten Lauf reicht ihm ein fünfter Platz, um in den zweiten Regattatag als Dritter im Gesamtklassement zu starten.

 

Doch auch an Tag zwei setzt das Wetter den Strandseglern zu. Die „Plate“ säuft ab, starker Niederschlag verwandelt die Fläche in einen ruhenden See, dessen matschige Uferbereiche die Räder der Yachten wie Pattex verkleistern. Zweimal starten die Miniyachten zu einem Rennen, beide Male werden die Läufe aber abgebrochen. Tiefschwarze Wolken ziehen auf - und Flautenlöcher vor sich her.  Bitter für Gitta Steinhusen. Sie liegt als schnellste Frau auf Platz drei, als die Rennleitung die gelbe Flagge setzt: Rennabbruch.

 

Für die Klassen 2, 5 und Standart besteht der zweite Renntag aus Warten. Und Warten. Und Warten. Die Piste ist  wie am Vortag so schlecht, dass kein Rennen gestartet werden kann. Nur in der Klasse 3, der schnellsten Klasse, gibt es ein Rennen. In der sogenannten Formel-1 der Strandsegler erreichen die Wagen bis zu 130 km/h. Der deutsche Rekordmeister Hans-Werner Eickstädt, der in Sankt Peter-Ording aufgewachsen ist, will dieses Jahr ganz oben auf dem Treppchen landen. Mehrmals war er bereits Europameister, zweimal Vize-Weltmeister. Bei der Heim-WM will er seine Trophäensammlung diesmal komplettieren. 

 

 

Nach einem mittelmäßigen Start kommt Eickstädt immer besser ins Rennen, liest den Strand wie ein altbekanntes Buch, findet die besten Übergänge zwischen den Sandbänken. Am Ende kommt er auf Platz drei ins Ziel. Die Mission „Gold“ ist in greifbarer Nähe. Allerdings könnte das Wetter den 155 Piloten aus 14 Nationen einen Strich durch die Rechnung machen. Für Dienstag und Mittwoch ist Sturm und Regen angesagt. Die Hoffnung, dass die Sandbank sich bessert, schwindet. Bleiben nur noch die beiden letzten Regattatage am Donnerstag und Freitag. Erst am Freitagabend wird sich zeigen, ob das deutsche Team seinen Heimvorteil wird nutzen können. 

 

Der Text ist zuerst auf Floatmagazin erschienen.

Bei der Weltmeisterschaft 2018 bin ich als Pilot nicht am Start. Als Verantwortlicher für die Pressearbeit des YCSPO war dieses Mal keine Zeit zum Segeln. Reporter von ARD, ZDF, NDR, RTL, NTV, SAT-1 und dem Dänischen Fernsehen berichten über die Weltmeisterschaft.

 

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