Natürlich gibt es einen Favoriten. Als Stephan Boden und ich am 8. September in Hamburg in der Flieger nach Dalaman steigen, steckt im Handgepäck eine Mappe mit den Checklisten für den Bootskauf - und mit den Dossiers der Auserwählten. Knapp zehn Boote haben wir in die engere Auswahl genommen. Hauptsächlich Decksalonyachten, ab elf Metern Länge und um die 75.000 Euro. Das Boot muss groß genug sein, um darauf bequem wohnen zu können, gleichzeitig muss es aber auch mit kleiner Crew oder Einhand zu segeln sein. Es sollte kein Schiff vom Fließband sein, keine ausgediente Charterhure mit acht Betten und drei Toiletten, sondern ein Schiff mit Charme, sicher und solide. Ein Eignerboot.
Seit Monaten hatten wir die Webseiten nach Booten abgesucht, Testberichte gelesen, Foren durchstöbert, verglichen und gerechnet. Jeder Morgen begann mit einem Check, ob die aktuelle Nummer eins noch zu haben war. Ein plötzlich toter Link konnte den Tag versauen. Dafür kamen ständig neue hinzu: „Hast Du die schon gesehen….geil!“
„Geil“ fand ich irgendwie auch die Hunter 450 Passage. Ein Monstrum mit 2,17 Meter Stehhöhe, Klimaanlage, Waschmaschine und Badewanne. Ein Apartment auf dem Wasser. Die Ausstattungsliste las sich wie ein 600-Seiten-Wälzer. Kurz vor der Abreise rutschte sie auf Platz 1 der Favoritenliste. Ein Termin mit dem Yachtbroker war für Montag ausgemacht. Nach einem Tag Entspannung in Dalyan brachen wir auf, das Abenteuer in Marmaris in Angriff zu nehmen. Noch in Dalyan sagte Stephan: „Ich glaube, die ist murks.“ Komischerweise dachte ich das auch. Aber wir hatten ja noch einige andere Yachten in Aussicht, wie eine Moody 38, die gerade erst online gegangen war, da waren wir bereits in Dalyan.
Die Agentur des Yachtbrokers liegt in der mondänen Netsel Marina, in der Starbucks sogar im Außenbereich gegen die Hitze mit Klimaanlagen ankämpft. Der namhafte Yachtbroker residiert auf zwei Stockwerken, feinst möbliert, Büros wie aus einem Hochglanzmagazin. Die meisten Yachten, die hier gedealt werden, liegen bei weit über einer Million. Motorpötte mit ausladendem Heck, um Gäste an den Piers von Marmaris, Bodrum oder Cannes einzuladen. Alle Mitarbeiter tragen gebrandete Polohemden. Beim obligatorischen Tee räumt der Broker gleich ein, dass die Hunter ein bisschen Pflege nötig hätte. Der Besitzer, ein Russe, hätte das ein bisschen schleifen lassen. Er hat vereinbart, dass wir um 10.30 Uhr an Bord können. Derzeit lebe ein „Mieter“ auf dem Schiff. Auch ein Russe.
Acht Kilometer sind es zu der Marina am Ende der Bucht von Marmaris. Als wir dort ankommen, klopft der Broker vorsichtig am Boot. Als die Achterluke sich öffnet, streckt sich ein verschlafener Kopf durch den Spalt. Unten den Augen zeichnen sich die landestypischen Halbmonde ab - allerdings sind die schwarz, nicht weiß. Im Cockpit steht noch der Grund dafür in leeren Flaschen. Auf dem Achterschiff liegt ein Schlauchboot, dem längst die Luft ausgegangen ist. Genauso schlaff und matt sieht der „Mieter“ aus, der seit Mai auf dem Boot wohnt. Eigentlich wollte er es mal kaufen. Aber nein, die Hunter will er dann nocht. Der türkische Broker und er sprechen russisch. Als der „Mieter“ sich in die Gespräche auf englisch einmischt, ist der Broker etwas irritiert. Und vielmehr noch, als Stephan seine Checkliste hervorholt und das Deck samt Rigg prüft, während ich mit ihm unter Deck gehe. Oben raunt ihm der „Mieter“ zu: „Wenn Ihr mehr über das Boot wissen wollt, kommt später noch mal vorbei.“
Unter Deck hätte eine RTL-2-Filmcrew ihre wahre Freude. „Messis auf dem Meer“ könnte die Folge heißen. Die Steuerbordverkleidung erzählt von Wasserschlachten. Ein offensichtlicher Wassereinbruch - vor drei Jahren! - wurde noch nicht repariert. „Kann man mit Leder verkleiden“, schlägt der Broker vor. „Oder Ausbessern: 300 Euro.“ Warum der Besitzer das nicht längst gemacht hat? Achselzucken. „Russen eben“, sagt der Broker und lächelt verschmitzt. Das Boot in dem Zustand ist ihm offensichtlich peinlich. Zu Recht. „5000 Euro und das Boot sieht wieder aus wie neu“, verspricht er aber. Der Eigner habe viel Spielraum beim Preis.
Das Groß sieht aus wie ein seit Jahren nicht gewechseltes Bettlaken, die Genua ist beim Segelmacher. Flicken drauf. Die Fallen und Schoten, ja, die müssten wohl auch erneuert werden. Aber immerhin, die Maschine läuft. Nach dem blauen Dampf am Auspuff fragen wir erst gar nicht. Die Instrumente im Cockpit sind von der Sonne erblindet. Und, ach ja, und es muss einen Kabelbruch gegeben haben. Ein Teil der Instrumente hat keinen Saft. Aber das sei ja schnell zu reparieren.
Nach einer halben Stunde ist der Favorit gestorben. Als ich per Mail absage, kommt als Antwort vom Makler: „Kann ich verstehen.“
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